Offener Brief Krüger/Stöhr: Novellierung des Infektionsschutzgesetzes

eine Novellierung des IfSG zur bundesweiten Vereinheitlichung des Vorgehens gegen die Corona-Pandemie bedarf verlässlicher Entscheidungsgrundlagen. Wir raten dringend davon ab, bei der geplanten gesetzlichen Normierung die „7-Tages-Inzidenz“ als alleinigeb Bemessungsgrundlage für antipandemische Schutzmaßnahmen zu definieren.

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1. Mit „Inzidenz“ bezeichnet das RKI die Zahl der Personen, bei denen unabhängig von einer Erkrankung mittels Diagnostiktest eine Infektion mit SARS-Coronavirus-2 gefunden wurde, pro 100.000 Bevölkerung. Dieser Wert gibt – aufgrund der durchaus erwünschten Ausweitung von Testaktivitäten – zunehmend weniger die Krankheitslast in der Gesellschaft wieder. Zudem unterliegt dieser Wert zunehmend schwankenden Erfassungswahrscheinlichkeiten, die völlig unabhängig vom eigentlichen Infektionsgeschehen sind.

2. Bewertungsgrundlage für die Auswahl von Schutzmaßnahmen sollte nicht die Inzidenz der Infektionen sein, sondern vielmehr die Häufigkeit der Erkrankungen und ihrer jeweiligen Schwere, also insgesamt die Krankheitslast. Die Krankheitslast berücksichtigt unter anderem Hospitalisierungen, krankheitsbedingten Arbeitsausfall, Behinderung und verlorene Lebensjahre.

3. Die im Gesetzesvorhaben vorgesehene 7-Tagesinzidenz differenziert nicht, in welchen Altersgruppen, Lebensräumen und Bevölkerungsgruppen Infektionen auftreten. Eine gleich hohe Inzidenz kann dramatisch unterschiedliche Bedeutung haben, je nachdem ob sie zum Beispiel bei primär gesunden Studierenden, bei schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen, bei besonders vulnerablen Menschen, oder diffus in der Gesamtbevölkerung verteilt gemessen wird.

4. Die 7-Tagesinzidenz eines Landkreises berücksichtigt weder die Dynamik noch die Lage in angrenzenden Landkreisen. Eine gleich hohe 7-Tagesinzidenz kann in einem Szenario (z.B. Verschlechterung der Lage in Nachbarregionen) eine Verschärfung von Maßnahmen erfordern, während sie in einem anderen Szenario (z.B. stark sinkender Trend) gar eine Lockerung erlauben könnte.

Risiken:

In der Konsequenz würde die gesetzlich verbindliche Koppelung von Maßnahmen an die 7-Tagesinzidenz der Infektionen zur Folge haben können, dass selbst dann massive Einschränkungen der Freiheitsrechte mit gravierenden Auswirkungen auf Wirtschaft, Kultur und die körperliche und seelische Gesundheit erfolgen müssten, wenn längst weniger krankenhauspflichtige Erkrankungen als während einer durchschnittlichen 3 Grippewelle resultierten. Ein solches Szenario ist im Falle eines zunehmenden Impferfolgs durchaus realistisch und zeitlich absehbar. Die öffentlich derzeit verfügbaren Entwürfe zur Novelle des IfSG verschärfen den Mangel an Sachbezug und die Gefahr einer Verletzung der Verhältnismäßigkeit wie bereits in Bundestagsanhörungen am 12.11.2020 und 22.02.2021 erläutert.

Vorgeschlagene Alternative:

Eine leicht zu bestimmende und zu kommunizierende Bemessungsgrundlage wäre die tägliche Anzahl der COVID-bedingten intensivstationären Neuaufnahmen, differenziert nach Landkreis des Patientenwohnortes, Alter und Geschlecht mit Berücksichtigung diesbezüglicher zeitlicher Trends. Dies ist nicht zu verwechseln mit der im DIVI Register derzeit berichteten „Anzahl der mit Covid-19 belegten Intensivbetten“, welche per se auch eine wichtige Information bezüglich der Versorgungslage liefert. Die Zahl intensivstationärer Neuaufnahmen kann die Dynamik des Infektionsgeschehens besser abbilden als die intensivmedizinische Belegungsstatistik3.

Damit diese Werte zeitnah, vollständig und integriert in der bestehenden digitalen Meldestatistik den Kommunen, Landesbehörden und des RKI verfügbar werden, müssten lediglich kleinere Anpassungen in den Paragraphen 6 und 11 des IfSG vorgenommen werden.

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