SARS-CoV-2 Variante B.1.1.7: Risikoeinschätzung

  • Es besteht kein Grund, das Spektrum der SARS-CoV-Bekämpfungsmaßnahmen oder spezielle Schutzkonzepte wegen der anteilmäßigen Zunahme der B.1.1.7 Variante oder anderer Varianten jetzt zu verändern.
    • Die von NERVTAG geschlussfolgerte, augenscheinlich wesentlich höhere Übertragbarkeit hatte bis jetzt keine substanzielle Auswirkung auf den Bekämpfungserfolg in Irland und England.
    • In den letzten Wochen nahmen die Meldeinzidenzen in den meisten europäischen Ländern ab oder bewegten sich auf unterschiedlichem Inzidenzniveau horizontal. Seit Ende Februar ist in mehreren Ländern ein leichtes Ansteigen zu verzeichnen. Die Kausalität dafür ist noch unklar: neben der anteilmäßigen Zunahme von B.1.1.7 werden diskutiert z.B. die stark zunehmenden Testungen in Österreich, eine erhebliche Zunahme der Mobilität in D und eine offensichtliche Pandemiemüdigkeit in vielen Ländern.
    • Modellierungen des möglichen Einflusses von B.1.1.7 auf das zukünftige Infektionsgeschehens können hilfreich sein, falls zuverlässige empirische Daten nicht vorlegen. Letzteren sollten bei der Entscheidungsfindung jedoch Vorrang gegeben werden.
    • Es liegen Befunde für das Vorliegens einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Hospitalisierung und Sterblichkeit durch B.1.1.7 im Vergleich zur vorher in UK dominierenden Variante vor. Allerdings bleibt das absolute Sterberisiko weiterhin gering. Nervtag-Update BMJ
    • Erhöhte Infektionsraten bei Kindern liegen nicht vor.
    • Die mRNA- und der Impfstoff von AstraZeneca sind wirksam gegen B.1.1.7.
  • Falls sich die Covid-19-Situation weiter verschärft oder entspannt, muss durch die Anpassung der aktuellen Pandemiestufe nachgesteuert werden. Stufenplan bis zum Ende der Pandemie, RKI Strategie
  • B.1.1.7 wird in Deutschland genau wie auch in anderen europäischen Ländern schnell einen noch höheren Anteil am Infektionsgeschehen erlangen, dominant werden und andere Varianten verdrängen.
    • Besonders schnell scheint die Variante B.1.1.7 bei starkem Anstieg der Fälle dominant zu werden (Bsp. England).
    • Bei horizontalem Inzidenzverlauf (wie z.B. in F, D, CH, A) scheint dieser Prozess protrahierter zu verlaufen.
  • Wegen der weiten Verbreitung werden Grenzschließungen  keine oder nur unbedeutenden Einfluss auf die Präsenz von B.1.1.7 in Europa haben.
  • Gegenwärtig ist keine potentiell regional oder global dominierende ImmuneEscape-Mutante erkennbar. Deshalb und wegen der hohen Wirksamkeitsmarge und des erzeugten breiten Immunspektrums besonders der mRNA-Impfstoffe ist ein Impfstoff-Up-date in den nächsten Monaten nicht zu erwarten.

Dringende nächste Schritte

  • Risikoeinschätzung von SARS-CoV-2 Varianten (epidemiologisch, klinisch, Impfstoffrelevanz) durch einen unabhängigen Expertenrat
  • Verifizierung der Ergebnisse der Studien in GB zur allem Anschein nach höheren Infektiosität von B.1.1.7. und höheren Sterblichkeit
    • Das kann nur in Ländern mit niedrigem Anteil der Variante geschehen.
    • Hierfür sind Studienprotokolle und -orte vorzubereiten.
  • Tiermodelle zur Übertragbarkeit untersuchen
  • Informationsaustausch mit Kollegen in UK, Portugal, Südafrika, Irland
  • Hersteller müssen einen Routineprozess für die antigene Testung Ihrer Impfstoffe etablieren.
  • Globale Koordinierung der genetischen und antigenetischen Charakterisierung von SARS-CoV-2 Varianten und Empfehlungen für die Impfstoffkomposition. Stöhr; Cox

Was wir wissen – Grundlegendes:

  • Mehrere Tausend genetisch unterscheidbare SARS-CoV-2 Varianten wurden bereits gefunden. Diese Zahl wird weiter stetig steigen.
  • Von anderen RNA-Virusfamilien ist bekannt, dass Virusvarianten häufig entstehen (z.B. Influenza). Sie erlangen jedoch sehr selten eine regionale Bedeutung über einen längeren Zeitraum. Noch seltener verbreiten sie sich überregional und schließlich weltweit. Danach werden sie durch andere Varianten ersetzt.
  • Die anteilmäßige Zunahme einer Variante bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie sich von der verdrängten Variante durch wesentliche auf den Wirt gerichtete Eigenschaften wie Infektiosität oder Pathogenität unterscheiden muss.
  • Die gegenwärtig auftretenden SARS-CoV-2 Varianten entstehen hauptsächlich durch zufällige Mutationen (im Gegensatz zu den Immune-Escape-Mutanten) ohne Selektionsdruck durch bereits immune Personen. Für den Mechanismus der gegenseitigen Verdrängung von nicht-Escape-Mutanten gibt es verschiedene noch zu belegende Hypothesen. Generell gilt, dass der „Ersatz“ einer Variante durch eine andere nicht zwangsläufig einen Einfluss auf die Erkrankungshäufigkeit oder – schwere haben muss.
  • Mit zunehmender Immunität in der Bevölkerung steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Immune-Escape-Mutanten. Dazu gibt es bereits Berichte aus SA und Brasilien; diese werden sich bald mehren.
  • Genetische Unterschiede allein sind nicht relevant zur Risikobewertung von Virus-Varianten. In Laboren muss eingeschätzt werden, wie verfügbare Impfstoffe noch wirken. Durch Feldstudien mit Laborunterstützung wird beobachtet, ob die Varianten relevante Eigenschaften verändern wie z.B. Uebertragungsfähigkeit, Sterblichkeit, Altersgruppenpräferenzen.
  • Variante B.1.1.7 wurde in mehr als 70 Ländern gefunden, es ist von einer weltweiten Verbreitung auszugehen. In einigen Ländern (z.B. UK, Irland) hat B.1.1.7 bereits einen Anteil über 90% am Infektionsgeschehen. In vielen anderen europäischen Ländern nimmt der Anteil von B.1.1.7 stetig zu.

B.1.1.7: die wesentlichen Befunde

Varianten und ihre Bekämpfung

  • Wie die anderen bereits zirkulierenden SARS-CoV-2 Varianten lassen sie die neueren auch nicht durch Grenzschliessungen o.Ä. an der Verbreitung hindern.
  • Labor und Kohortenstudien in England weisen auf eine erhöhte Übertragunsfähigkeit von B.1.1.7 hin ohne schlüssige Anzeichen für eine geänderte Pathogenität und Altersgruppenpräferenz aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit höherer Sterblichkeit.
  • Die Bekämpfung von B.1.1.7 gelingt ähnlich wie bei den bislang kursierenden Viren:
    • In einigen Ländern mit ansteigendem Krankheitsgeschehen (Irland, England, Portugal) hat B.1.1.7 das Krankheitsgeschehen zunehmend dominiert; in anderen spielte B.1.1.7 dabei eine untergeordnete Rolle.
      • In Irland hatte sich im Dezember die Inzidenz fast verzehnfacht, ohne das B.1.1.7 anfänglich daran einen wesentlichen Anteil hatte. Erst in den letzten Wochen des Anstiegs der Gesamtfälle ist auch B.1.1.7 signifikant vermehrt gefunden worden.
      • In England hat sich der B.1.1.7 Anteil gleichzeitig mit dem rasanten Anstieg der Fälle im Dezember stark erhöht.
      • In Portugal wurde ein Trend wie in England beobachtet.
    • Seit Anfang/Mitte Januar nehmen die Fälle in Irland und England stark ab. Gleichzeitig steigt der Anteil von B.1.1.7 weiter stark an.
      • 60% Reduktion in England und 4/5 Abnahme in Irland innerhalb von 2-3 Wochen.

Varianten und Impfstoffe

  • Laborversuche bei Biontech und Moderna und AstraZeneca konnten belegen, dass ihre Impfstoffe auch gegen relevante Varianten wirken werden.
  • Die klinischen Studien mit SARS-CoV-2 Impfstoffen von Novavax und Johnson&Johnson deuten auf unterschiedliche Wirksamkeiten in Ländern mit höherem Anteil von neuen Varianten-Viren hin (Südafrika, Brasilien, UK im Vergleich zur USA). Allerdings:
    • Ergebnisunterschiede desselben Impfstoffs in verschiedenen Ländern/Regionen sind nichts Unerwartetes
    • Hat der Johnson&Johnson Impfstoff eine vergleichbare Wirksamkeit gegen schwere Covid-19 Erkrankungen von 85% in USA, Lateinamerika, Südafrika trotz Zirkulation von verschiedenen Varianten
  • Tragen Impfungen dazu bei, das Escape-Mutanten häufiger entstehen?
    • Trotz voranschreitender Impfungen werden natürliche Infektionen den größeren Anteil bei der Senkung der Populationsempfänglichkeit behalten.